Tarifflucht durch Leiharbeit: Das Ende der Dienstgemeinschaft
Seit Anfang des Jahres hat eine diakonische Einrichtung der Behindertenhilfe aus der Nähe von Bremen nur noch Leiharbeitnehmer eingestellt, die ein Arbeitsverhältnis mit einem gewerblichen Tochterunternehmen einer anderen diakonischen Einrichtung abgeschlossen haben. Die Steuerung dieses Personaleinsatzes war sehr einfach, weil ein Geschäftsführer der Behindertenhilfeeinrichtung zugleich Geschäftsführer dieser Verleihfirma ist. Und so konnten denn auch Beschäftigte, deren Arbeitsverhältnis mit der Behindertenhilfeeinrichtung aufgrund von Befristung endete, nahtlos weiterbeschäftigt werden, allerdings mit um 20% abgesenkten Personalkosten. In nur etwas mehr als einem Vierteljahr konnten so über 30 Arbeitsplätze und damit rund 1/10 der Beschäftigten durch billigere Leiharbeitnehmer ersetzt werden. Diese diakonische Einrichtung ist damit dem Vorbild anderer Einrichtungen gefolgt, die wie z.B. die Friedehorst gGmbH in Bremen diese Form der Tarifflucht in großem Stile betreiben. Die Begründung ist stets die gleiche: Weil das Tarifniveau der kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen (AVR) zu hoch sei, müsse man die Kosten auf diesem Wege absenken. Dabei hat keine dieser Einrichtungen bislang nachgewiesen, dass sie in ernsten wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckt. Von einer Notlagenregelung will man weder in Friedehorst noch in der Einrichtung der Behindertenhilfe etwas wissen.
Die Mitarbeitervertretungen dieser Einrichtungen haben den Einstellungen der Leiharbeitnehmer stets widersprochen. Während das Gemeinsame Gericht der Bremischen Evangelischen Kirche der Mitarbeitervertretung die Berechtigung zur Zustimmungsverweigerung abgesprochen hat (nicht rechtskräftig), hat die Schiedsstelle der Konföderation in einer am 30.5.2006 verkündeten Entscheidung jedenfalls den dauerhaften Einsatz von Leiharbeitern als Verstoß gegen kirchliches Recht angesehen.
Die Leiharbeitnehmer unterliegen nicht den kirchlichen Loyalitätsanforderungen wie die von einer diakonischen Einrichtung Beschäftigten. Wenn Leiharbeitnehmer jedoch dauerhaft eingesetzt werden und die Stammbelegschaft ersetzen, sind sie - so die Schiedsstelle - wie die Stammbelegschaft in die Dienstgemeinschaft eingegliedert. Wer aber nicht den für die Kirche maßgeblichen Loyalitätsanforderungen entspricht bzw. entsprechen muss, kann nicht in die Dienstgemeinschaft eingegliedert werden. Während ein diakonischer Arbeitgeber insbesondere die sich aus der Loyalitätsrichtlinie ergebenden Anforderungen an die Mitarbeiter stellen kann, kann eine Verleihfirma ohne kirchlichen Auftrag nicht einmal eine Konfessionszugehörigkeit verlangen. Denn nur die Kirchen und ihre Einrichtungen dürfen nach der Religionszugehörigkeit unterscheiden. So verlangt es das europäische Antidiskriminierungsrecht und demnächst das Allgemeine Gleichstellungsgesetz, mit dem die europäischen Richtlinien in nationales Recht umgesetzt werden.
Die Schiedsstelle hat damit die Besonderheit des kirchlichen Dienstes hervorgehoben. Dieser kann nicht allein nach weltlichem Arbeitsrecht beurteilt werden. Wenn sich eine Einrichtung der Kirche und ihrer Diakonie zuordnet, dann muss sie die sich aus der Zuordnung ergebende Kirchlichkeit auch selbst "leben". Diakonische Arbeit ist nach kirchlichem Selbstverständnis Teil der Glaubensausübung. Allein darin liegt die Rechtfertigung für die Inanspruchnahme der sich aus Art. 140 GG ergebenden Kirchenprivilegien. Glaubensausübung (nämlich diakonische Arbeit) kann nicht auf säkulare Arbeitnehmer verlagert werden.
Die Entscheidung der Schiedsstelle ist eine Absage an alle Bestrebungen, sich unter dem Dach der Kirche mit ihrer Sonderstellung wie ein schlichtes Wirtschaftsunternehmen aufzuführen. Die Entscheidung kann in ihrer Bedeutung gar nicht überschätzt werden. Denn die hier sichtbar gewordene "Ökonomisierung des Glaubens" ist allgegenwärtig, wenn auch nicht überall so deutlich. Sie macht deutlich, dass die Zuordnung einer Einrichtung zur Kirche nicht nur Privileg sondern zugleich Verpflichtung ist.